Mit sechs oder sieben Jahren, wenn man anfängt herumzustreunen, auf der Jagd nach einem Eimer oder einer Pressform für die hiesige Wurstspezialität Martondelle*, geht die Geschichte so: Man will irgendwas unternehmen, vielleicht zusammen mit den Freunden. Aber mindestens einer von ihnen muss Zuhause oder auf dem Feld mitanpacken.

Dann erkennt man, aus welchem Holz die Freunde wirklich geschnitzt sind: Es gibt diejenigen, die dir gleich den Rücken zukehren, und die anderen, die spontan anbieten, zu helfen, sodass alle früher mit ihrer Arbeit fertig sind und noch Zeit bleibt, etwas zu unternehmen.

In Meran gibt es im Herbst jede Menge zu tun. Das liegt an den Äpfeln. Denn im Herbst sind sie reif und werden gepflückt und zu Saft, Cidre, Strudel oder Kuchen verarbeitet. Oder sogar einfach direkt gegessen. Und das sollte man nicht unterschätzen: Diese Äpfel sind einfach köstlich.

Aber gleichzeitig stellen sie eine Herausforderung dar – also nicht die Äpfel selbst, aber die ganze Arbeit, die sie verursachen. Denn man muss anderthalb Stunden pro Baumreihe damit zubringen, einen Baum nach dem anderen zu prüfen – und zwar in den letzten Tagen, ehe der Winter kommt und der Schnee alles verändert. Es ist nicht so einfach, diese letzten spätsommerlichen Tage aufzugeben, an denen man auf den Wegen rund um das eigene Zuhause herumtollen kann und auf den Wiesen, die – selbst wenn sie schon gelb sind – immer noch Wiesen und keine eisigen Flächen sind.

Dies sind Gedanken von Aaron und er begreift, dass die Apfelernte wirklich wichtig ist. Dafür gibt es zwei Gründe. Einer davon ist Aaron seit Kindertagen klar: Es sind die Äpfel von Daniel, einem wahren Freund. Und Freunden hilft man immer. Der zweite Grund kommt mit dem Alter und ist mit den Jahren gereift. „Es zeigt, wer wir sind“, denkt Aaron für sich. „Selbst diese bescheidene Arbeit, die man mit den Händen verrichtet, ist Teil unserer Kultur und Teil dessen, was uns ausmacht.“ Ein Apfel nach dem anderen landet im Korb. Wenn der Korb voll ist, leert Aaron ihn in einen großen Behälter. Dabei kreuzen sich seine Wege mit denen anderer Menschen, die derselben Tätigkeit nachgehen. Vielleicht wünschen sich einige von ihnen an einen anderen Ort. Aber niemand ist niedergeschlagen. Äpfel pflücken an der frischen Luft, auf den Hängen deiner Heimat: Das ist kein schlechter Job.

Nach getaner Arbeit springt Aaron am Abend auf, wie eine gespannte Feder, voller überschüssiger Energie. Das Tageslicht ist noch nicht ganz verschwunden. Und so ein bisschen Licht reicht zwar nicht aus, ist aber immer noch besser als nichts, besser als den Abend in einer Kneipe oder vor dem Fernseher auf dem Sofa zu verbringen. Man braucht nur zwei Sachen: Willenskraft und Planung. Die Willenskraft, um nach links statt nach rechts zu gehen, in die Berge statt in den wohlverdienten Feierabend. Und die Planung, um alles, was man braucht, dabei zu haben, sodass man keine Zeit verschwendet.

Aaron zieht einen kleinen Rucksack aus seinem Transporter, den er am Vorabend sorgfältig gepackt hat. Er setzt den Rucksack auf. Es ist Zeit, loszuziehen. Die ersten Schritte sind langsam, raumgreifend, um die Muskeln auf den neuen Rhythmus vorzubereiten. Der Gang wird langsam schneller, so auch die Atemfrequenz und der Herzschlag. Die Wege, die nach oben führen, hinter Algund, liegen im Schatten. Aber der Himmel ist noch nicht ganz von den tiefvioletten Farben der Dämmerung bedeckt. Das Licht leuchtet noch wie Bernstein. Es ist noch Zeit. Aaron wird schneller. Die Wiesen von den Muthöfen hat er schon hinter sich gelassen. Das Licht reicht aus, wenn man schnell genug ist. Man kann bis nach oben wandern, bis zum Gipfel der Mutspitze.

Während Aaron sein Segel ausbreitet, das wie ein riesiges Hufeisen anmutet, und sorgfältig die Tragegurte prüft, sind die letzten Sonnenstrahlen noch nicht verschwunden. Gerade genug Licht, um herunterzufliegen und sicher zu landen. Es ist ausreichend. Und das ist alles, was zählt. Eine leichte Brise kommt den Abhang hinauf, friedlich und beständig. Es scheint, als wäre sie geschwängert vom intensiven Duft der Äpfel. Aber vielleicht ist das auch nur Einbildung. Das Segel füllt sich mit Luft und steigt über Aarons Kopf. Zwei Schritte und seine Füße sind in der Luft.

Unten im Tal stehen die Obstbäume ordentlich aufgereiht. „Nein, ich möchte nirgends anders hingehören“, murmelt Aaron, während er nach Hause fliegt.

AARON DUROGATI

MERAN: von der Tradition zur Leidenschaft

 

Wenn man in einer ländlichen Gegend lebt, gibt es immer etwas zu tun. Wer in einer Gegend aufgewachsen ist, die nicht mehrheitlich aus Beton und Glas besteht, weiß das nur zu gut.

Man kann dem einfach nicht entkommen: Heu machen, Reben beschneiden, den Wald roden oder Holz hacken – was auch immer dem eigenen, kerngesunden Großvater oder dem eifrigen Onkel einfällt.

Mit sechs oder sieben Jahren, wenn man anfängt herumzustreunen, auf der Jagd nach einem Eimer oder einer Pressform für die hiesige Wurstspezialität Martondelle*, geht die Geschichte so: Man will irgendwas unternehmen, vielleicht zusammen mit den Freunden. Aber mindestens einer von ihnen muss Zuhause oder auf dem Feld mitanpacken.

Dann erkennt man, aus welchem Holz die Freunde wirklich geschnitzt sind: Es gibt diejenigen, die dir gleich den Rücken zukehren, und die anderen, die spontan anbieten, zu helfen, sodass alle früher mit ihrer Arbeit fertig sind und noch Zeit bleibt, etwas zu unternehmen.

In Meran gibt es im Herbst jede Menge zu tun. Das liegt an den Äpfeln. Denn im Herbst sind sie reif und werden gepflückt und zu Saft, Cidre, Strudel oder Kuchen verarbeitet. Oder sogar einfach direkt gegessen. Und das sollte man nicht unterschätzen: Diese Äpfel sind einfach köstlich.

 

 

Aber gleichzeitig stellen sie eine Herausforderung dar – also nicht die Äpfel selbst, aber die ganze Arbeit, die sie verursachen. Denn man muss anderthalb Stunden pro Baumreihe damit zubringen, einen Baum nach dem anderen zu prüfen – und zwar in den letzten Tagen, ehe der Winter kommt und der Schnee alles verändert. Es ist nicht so einfach, diese letzten spätsommerlichen Tage aufzugeben, an denen man auf den Wegen rund um das eigene Zuhause herumtollen kann und auf den Wiesen, die – selbst wenn sie schon gelb sind – immer noch Wiesen und keine eisigen Flächen sind.

Dies sind Gedanken von Aaron und er begreift, dass die Apfelernte wirklich wichtig ist. Dafür gibt es zwei Gründe. Einer davon ist Aaron seit Kindertagen klar: Es sind die Äpfel von Daniel, einem wahren Freund. Und Freunden hilft man immer. Der zweite Grund kommt mit dem Alter und ist mit den Jahren gereift. „Es zeigt, wer wir sind“, denkt Aaron für sich. „Selbst diese bescheidene Arbeit, die man mit den Händen verrichtet, ist Teil unserer Kultur und Teil dessen, was uns ausmacht.“ Ein Apfel nach dem anderen landet im Korb. Wenn der Korb voll ist, leert Aaron ihn in einen großen Behälter. Dabei kreuzen sich seine Wege mit denen anderer Menschen, die derselben Tätigkeit nachgehen. Vielleicht wünschen sich einige von ihnen an einen anderen Ort. Aber niemand ist niedergeschlagen. Äpfel pflücken an der frischen Luft, auf den Hängen deiner Heimat: Das ist kein schlechter Job.

 

 

Nach getaner Arbeit springt Aaron am Abend auf, wie eine gespannte Feder, voller überschüssiger Energie. Das Tageslicht ist noch nicht ganz verschwunden. Und so ein bisschen Licht reicht zwar nicht aus, ist aber immer noch besser als nichts, besser als den Abend in einer Kneipe oder vor dem Fernseher auf dem Sofa zu verbringen. Man braucht nur zwei Sachen: Willenskraft und Planung. Die Willenskraft, um nach links statt nach rechts zu gehen, in die Berge statt in den wohlverdienten Feierabend. Und die Planung, um alles, was man braucht, dabei zu haben, sodass man keine Zeit verschwendet.

Aaron zieht einen kleinen Rucksack aus seinem Transporter, den er am Vorabend sorgfältig gepackt hat. Er setzt den Rucksack auf. Es ist Zeit, loszuziehen. Die ersten Schritte sind langsam, raumgreifend, um die Muskeln auf den neuen Rhythmus vorzubereiten. Der Gang wird langsam schneller, so auch die Atemfrequenz und der Herzschlag. Die Wege, die nach oben führen, hinter Algund, liegen im Schatten. Aber der Himmel ist noch nicht ganz von den tiefvioletten Farben der Dämmerung bedeckt. Das Licht leuchtet noch wie Bernstein. Es ist noch Zeit. Aaron wird schneller. Die Wiesen von den Muthöfen hat er schon hinter sich gelassen. Das Licht reicht aus, wenn man schnell genug ist. Man kann bis nach oben wandern, bis zum Gipfel der Mutspitze.

 

 

Während Aaron sein Segel ausbreitet, das wie ein riesiges Hufeisen anmutet, und sorgfältig die Tragegurte prüft, sind die letzten Sonnenstrahlen noch nicht verschwunden. Gerade genug Licht, um herunterzufliegen und sicher zu landen. Es ist ausreichend. Und das ist alles, was zählt. Eine leichte Brise kommt den Abhang hinauf, friedlich und beständig. Es scheint, als wäre sie geschwängert vom intensiven Duft der Äpfel. Aber vielleicht ist das auch nur Einbildung. Das Segel füllt sich mit Luft und steigt über Aarons Kopf. Zwei Schritte und seine Füße sind in der Luft.

Unten im Tal stehen die Obstbäume ordentlich aufgereiht. „Nein, ich möchte nirgends anders hingehören“, murmelt Aaron, während er nach Hause fliegt.